Du bist nicht mehr meine Freundin! – Vermutlich gibt es keine erwachsene Frau, die diese klare Ansage als kleines Mädchen nicht gehört hat. Danach todtraurig nach Hause gelaufen ist, um sich weinend in die Arme eines vertrauten Menschen zu werfen oder im Geheimversteck allein vor sich hin zu schluchzen.
In abgewandelter Form erleben wir diese Szene auch in späteren Jahren. Dann wahrscheinlich nicht so dramatisch formuliert, dafür jedoch mit weitreichenderen Konsequenzen als in Kindertagen.
Was ist das eigentlich? – Freundschaft …
Freundschaft kann ganz viele wundervolle Gesichter und Erscheinungsformen haben, auf die ich hier gar nicht im Einzelnen eingehen kann, um den Rahmen dieses Beitrags nicht zum Platzen zu bringen.
Nur so viel: Sie entsteht nicht zwangsläufig ausschließlich zwischen Gleichaltrigen und Gleichgeschlechtlichen. Es kann sie durchaus auch generationsübergreifend geben, mütterliche Freundinnen / väterliche Freunde. Sie kann von ganz kurzer Dauer sein oder lange Bestand haben. Doch ganz egal, wie sich eine Freundschaft zeigt, sie hat immer mit unserem Herzen zu tun. Dem Ding, von dem der Buchautor Robert Betz sagt, dass es inmitten unserer Brust sitzt und das kein Mediziner finden kann.
Wahre gelebte Freundschaft tut so gut, ist von unschätzbarem Wert für unsere seelisch – körperliche Gesundheit, schult unsere soziale Kompetenz und fördert gleichzeitig unsere Friedfertigkeit.
Grundsätzlich verstehe ich Freundschaft als einen freiwilligen, herzlichen Zusammenschluss von Menschen – im realen Leben, nicht bei Facebook & Co. – die sich meist durch gemeinsame Interessen, Vorlieben, bei der Arbeit o. a. Berührungspunkte begegnen und dabei feststellen, dass es Freude macht, sich darüber auszutauschen. Dass es gut tut, ein Gegenüber zu haben, mit dem man einfach so reden kann. Ein Gegenüber auf Augenhöhe, das zu zuhören vermag und in dessen Gegenwart man sich wahr- und ernstgenommen, sich einfach wohl fühlt. Wo man das Gefühl hat, verstanden zu werden. Wo man sich traut, ganz ohne Angst Alles zu sagen, sogar Intimes auszusprechen. Wo man voller Vertrauen ist und weiß, dass auch nach einer heftig ausgetragenen Meinungsverschiedenheit nicht Alles kaputt ist.
Wahre, gelebte Freundschaft erfordert Mut für den Diskurs, wenn es Klärungsbedarf gibt und es braucht eine große Bereitschaft zur Vergebung, für den Fall, dass es zu Verletzungen gekommen ist.
Die ‚Hohe Schule‘ der Freundschaft sind für mich ganz persönlich diejenigen Verbindungen, die im vollen Vertrauen und von großer Liebe getragen werden innerhalb einer ehelichen / eheähnlichen Beziehung sowie im Kreis von Seelenverwandten, die es mitunter sogar in der gegenwärtigen physischen Familie geben kann. Keine Frage: Es bedarf mitunter jahrelanger, echt harter Arbeit einerseits, bis es soweit ist und man sagen kann, dass man nicht nur miteinander verwandt / verheiratet, sondern auch eng befreundet ist. Doch andererseits erfährt man darüber wahres, lebendiges Glück auf zwei Beinen als wundervollen Ausgleich von unschätzbarem Wert.
Die Freunde aus der Kinderzeit bleiben recht selten ein Leben lang an unserer Seite. Meistens geht man nach der Schulzeit eigene Wege und verliert sich aus den Augen. Dennoch, es gibt sie, diese scheinbar unerschütterlichen Verbindungen.
Manchmal sind sie in späteren Jahren nicht mehr ganz so vertraut oder werden nicht mehr so intensiv gelebt wie früher und doch „steht die Leitung“.
Jetzt könnte man fragen: Warum ist das so, wo es doch nicht mehr so viele Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten wie früher gibt?
Ich habe dafür nur eine Erklärung: Wir waren uns als Kinder trotz unserer Unterschiede mit unseren Herzen verbunden und so ist es noch heute… Da braucht’s irgendwie nicht mehr. Keine wöchentlichen Anrufe oder regelmäßigen Verabredungen und Besuche.
Man kennt sich, wenn man wie ich Mitte 60 ist (Stand 2021), seit 5 oder gar 6 Jahrzehnten, nimmt aufrichtig nach wie vor Anteil am Leben der Anderen und mag sich unverändert gern. Das reicht.
Kurios und phänomenal zugleich, denn oftmals hat man durch ganz persönliche Entwicklungen völlig unterschiedliche Richtungen eingeschlagen, sich über lange Zeit auch durch Ortswechsel aus den Augen verloren und dennoch ploppt bei der ersten Begegnung nach langer Zeit das Herz ganz einfach wieder voll auf. Man sitzt beieinander, erzählt und lacht, tauscht sich in der alten vertrauten Weise aus, so, als ob keine Zeit vergangen wäre.
Es ist so wundervoll und ich bin zutiefst dankbar dafür, dass ich so „alte“ Freundinnen noch immer habe und mit ihnen bis heute mit dem Herzen verbunden bin. Eine von ihnen wohnt sogar bei mir um die Ecke. 😊
Gleichzeitig blicke ich jedoch auch auf einen Abschied, der mich noch immer schmerzt und traurig macht.
Ich habe mich vor Kurzem von einer langjährigen Freundin getrennt, die ich seit fast 30 Jahren kenne.
Hier blicke ich zurück auf eine Freundschaft, die unter ganz anderen Gegebenheiten als mit meinen „alten“ Freundinnen ihren Anfang nahm. Denn wir begegneten uns als zwei erwachsene Frauen mit einiger Lebenserfahrung und waren damals beide gleichermaßen recht dynamisch unterwegs.
Wir, beide in Thüringen geboren und nach wie vor hier zu Hause, lernten uns zu einer Zeit kennen, als die Auswirkungen der politischen Wende in der DDR weiterhin sehr unser aller Leben prägten und sich jeder, mehr oder weniger, noch in einer Umorientierungsphase befand.
Zu dieser Zeit arbeiteten wir beide in unterschiedlichen kulturellen Bereichen, die allerdings zeitweise miteinander verknüpft waren. Aus einer dieser gemeinsamen Arbeitssituationen kam der Impuls für uns, sich näher kennenlernen zu wollen. Und so gab es dann über viele Jahre hinweg ungezählte, wunderschöne Augenblicke des gemeinsamen Erlebens, in denen wir voller Freude und im tiefen Vertrauen zueinander herzlich verbunden waren. Im Gefühl des Miteinander-Wachsens sind wir auf dem gleichen Pfad unterwegs gewesen und tauschten uns gern aus über die unterschiedlichsten Themen.
Das blieb so, bis zu dem Moment, in dem sich, ohne, dass es dafür einen konkreten Anlass oder Auslöser gegeben hätte, bei mir immer öfter Fragen und Zweifel am Zustand unserer Verbindung einstellten. Ich wollte dem, was ich da wahrnahm, auf den Grund gehen und begann damit, unser beider Leben einmal nebeneinander zu stellen und anzuschauen. Nach recht kurzer Zeit zeigten sich, bei aller herzlichen Verbundenheit, die ich noch immer fühlte, wo es zunehmend deutliche Unterschiede in unserem jeweiligen Denken, Fühlen und Tun gab. Genau hier wäre es als gute Freundin meine Aufgabe gewesen, meine Wahrnehmung nicht nur ansatzweise, sondern ganz eindeutig und nachvollziehbar ihr gegenüber auszusprechen. Diesen Mut hatte ich damals nicht. Und so bin ich jetzt in der Situation, mir selbst vergeben zu müssen, meiner Verantwortung unserer Freundschaft gegenüber nicht so gerecht geworden zu sein, wie es in diesem Moment erforderlich gewesen ist.
Und so verging die Zeit und meine Freundin war mittlerweile nicht mehr berufstätig. Es gab wie gewohnt Gespräche und Begegnungen und manchmal schien alles so, wie es war, doch irgendwie in Ordnung zu sein. Diese Einschätzung traf allerdings nicht die Realität, denn ich merkte bald, wie ich immer seltener Lust auf Austausch mit ihr hatte und wie erschöpft ich mitunter nach unseren Begegnungen gewesen bin. Ich hatte nämlich immer öfter das Gefühl, weniger Freundin, als vielmehr Beraterin und Stütze zu sein. Eine vitale, stabile Verbindung hätte eine Zeit der ungleichen Lastenverteilung ohne weiteres verkraftet, doch da ich selbst über eine längere Zeitspanne in keiner guten mentalen Verfassung war, hatte ich keine Kraft, meiner Freundin wie gewohnt bei ihren Themen hilfreich zur Seite zu stehen.
So bemerkte ich zunehmend, wie sich Unruhe und Schwere in mir breit machten, wenn ich an sie dachte. Als es mir selbst dann wieder besser, ja sogar richtig gut ging, ich immer öfter große Lust auf Veränderung in meinem Leben in Richtung Selbstbestimmung und Unabhängigkeit bekam, mit meinem Freund – Ehemann 💞 gemeinsam Ideen dazu aus der Taufe hob, hatte ich gleichzeitig den Eindruck, meine Freundin wird irgendwie in meiner Wahrnehmung immer „kleiner“.
Ganz oft konnte ich beobachten, wie sehr sie sich mit den Gegebenheiten arrangierte, statt aktiv positiv darauf einzuwirken. Ich konnte sehen, wie wenig sie sich um ihr eigenes Wohl kümmert, sich dagegen aber für andere, egal ob für Familienmitglieder oder Freunde, die sprichwörtlichen „Hacken“ abrennt. Dabei leidet sie schon seit Jahren an einer Krankheit, die in ihrer Symptomatik eine ganz deutliche Sprache spricht.
Ich habe beobachten können, wie stark ihre Anhaftung an Vergangenes ist, wie viel Kraft sie dafür aufwendet, in alten überlebten, lieblos gewordenen Verbindungen zu verharren und wie sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert.
Leider habe ich es bei aller Sorge um sie nicht vermocht, ihr ausreichend Denkanstöße dahingehend zu liefern und sie zu motivieren, zu ihrem eigenen Wohl entsprechende Veränderungen vorzunehmen. Denn aus meiner Sicht besteht zwischen ihrer Weise, wie sie im Leben steht und ihrer Krankheit ein direktes Ursache-Wirkung-Prinzip. Es ist allerhöchste Zeit für mehr Liebe, Fürsorge und Wertschätzung ihr selbst gegenüber.
Sich selbst gegenüber beste Freundin sein … Das gilt nicht nur für sie. Das gilt gleichermaßen auch für mich und uns alle.
Der Grund, der letztendlich dazu führte, dass ich mich traurigen Herzens von meiner Freundin verabschiedet habe, liegt in für mich ganz klaren Erkenntnissen, die ich über die letzten Jahre gewonnen habe:
Das Leben ist ein dynamischer Prozess und kein statisches, starres Gebilde, in dem ich mir meinen Platz einmal aussuche und dann da bleibe.
Leben bedeutet zu jeder Zeit permanente Veränderung. Am besten lässt sich das in der Natur beobachten. Nichts bleibt, wie es einmal war.
Erwachen – Wachsen – Vergehen
Der ewige Kreislauf des Lebens.
Stillstand ist in natürlichen Prozessen nicht vorgesehen.
Und so erhalten wir in jedem Augenblick unseres Lebens als großes Geschenk und Chance, immer und immer wieder aufs Neue starten und es besser machen zu können, sofern wir uns mal vertan und fehlentschieden haben. Wir alle erhalten somit einerseits die Erlaubnis dazu und haben andererseits gleichzeitig jedoch auch den Auftrag, Gestalter unseres eigenen Lebens zu sein. Es liegt in meinen Händen und in meiner Verantwortung, wie mein Leben sein / werden soll.
Es sind niemals die Umstände oder andere Menschen, die mich dauerhaft in fatale Situationen führen.
Ich allein habe zu entscheiden, und dafür sind wir alle mit dem ‚Freien Willen‘ ausgerüstet, wohin mich mein Weg führen soll:
Ob ich die Richtung selbst wählen oder ob ich weiterhin irgendwelchen Idealen hinterherlaufen will, auf Anweisung und in Erwartungshaltung anderer mir gegenüber in Zwangshaltung verharren und mir den Weg vorgeben lassen will. Unzufrieden, freud-, lieblos und krank durch meine Jahre gehe, bis meine Uhr abgelaufen ist …
Ob ich mit mir, so wie ich es verdiene, genauso fürsorglich, liebevoll und wertschätzend wie mit anderen umgehen will oder mich lieber weiter aufopfere, bis ich endgültig in die Knie gehe.
Ich spreche jetzt nicht davon, in eigensüchtiger, unsozialer Weise unterwegs zu sein und jegliche Verbindlichkeiten anderen gegenüber zu vergessen. Nein. Kein Gedanke.
Mir geht es hier einfach um das Erkennen von Zusammenhängen. Davon, wie elementar wichtig es ist, sich selbst wertzuschätzen, zu lieben und gut für sich zu sorgen. Denn nur, wenn ich wahrlich gesund bin an Körper, Geist und Seele, mit klarer, eigener Sicht auf mein Leben vorwärts gehe und es mit Mut und all meinen Fähigkeiten gestalte, bin ich auch in der Lage, ohne mich selbst zu schwächen, anderen Menschen etwas zu geben, ihnen, wenn nötig in der Not beizustehen, mit ihnen zu teilen und im Herzen aufrichtig verbunden zu sein.
Geben und Nehmen in Balance – mit Herz und Verstand.
Wir alle haben es jeden Morgen beim Aufstehen in der Hand, wie unser Tag werden soll.
Mit welchen Gedanken, Gefühlen und Vorhaben wir den Tag gestalten wollen …
Lasst es uns also liebevoll und in wahrer Freundschaft mit uns selbst und mit anderen jeden Tag ein Stückchen besser machen!
Was für ein wundervoller Beitrag. 😊💞
Vielen Dank dafür. 🙏🏻
Es ist wunderschön wie Du die freundschaftliche Beziehung auch in (d)einer Ehe beschreibst.
Auch Deine Beschreibung dass Leben Veränderung bzw. Entwicklung ist finde ich einfach treffend und wunderbar.
Liebe Petra, ganz herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar auf meinen Beitrag 🙏 Wenn ich damit Denkanstöße geliefert habe,dann ist mir viel gelungen.
Liebe Grüße und beste Wünsche für dich 🙏💞
Liebste Annelie, du hast es ganz wundervoll beschrieben was es auch für mich heißt Freundschaft zu leben auf allen Ebenen. Vielen Dank für diesen ganz besonderen Beitrag von dir 🙏😘
Liebe Isabell, ein ganz herzliches Dankeschön für deinen lieben Kommentar auf meinen Beitrag 🙏 Dass meine Worte und dein Empfinden hier zusammen treffen, ist wundervoll und darüber freue ich mich sehr. Lieben Dank und beste Wünsche für dich 🙏💞
Ich als dein Ehemann / Vertrauter / Freund danke Dir, meiner Ehefrau, Vertrauten und Freundin zugleich von ganzem ❤️ für diesen wunder-vollen Beitrag. – Meines Erachtens vortrefflich passend zu dem, was / wie du es formuliert hast, habe ich im Buch ‚Warum wir mehr als einmal auf Erden leben‘ von Beat Imhof eine Textpassage entdeckt, aus der ich etwas zitieren möchte: „Wenn ich jemanden liebe, erkenne, wünsche und will ich für ihn, was für ihn gut ist.“ – Ich liebe Dich 💞
Mein liebster Freund – Ehemann, ich fühle mich von dir geliebt ♥️💞… Meistens jedenfalls 😆