Nach über 60 Lebensjahren zurück zu blicken auf die frühe Kindheit bringt so manche Überraschung mit sich.
Wo liegt die Schwelle der Erinnerung. – Ist sie trennscharf oder eher fließend?
Was ist haften geblieben, ist unter Umständen noch in einzelnen Bildern oder sogar wie ein Film vor dem geistigen, dem dritten Auge zu sehen?
Was hat das eigene Leben geprägt, beeinflusst und hallt selbst nach vielen Jahrzehnten noch nach?
Gewissermaßen im „Selbstversuch“ bin ich diesen Fragen nachgegangen.
Hierzu zunächst eine kurze Rückschau.
Meine ersten Lebensjahre habe ich gemeinsam mit meinen Eltern, Groß- und Urgroßeltern väterlicherseits verbracht.
Vier Generationen – insgesamt sieben Personen – vereint unter dem Dach eines ursprünglich für eine Familie geplanten Hauses mit zwei Etagen und provisorisch ausgebautem Dachgeschoss am Rande einer größeren Stadt in Nordhessen.
Das Bad mit WC in der Wohnung der Großeltern wurde von meinen Eltern und damit auch mir mitbenutzt.
Das Wohnzimmer meiner Eltern, das nebenher noch Nähzimmer meiner Mutter und mein Spielzimmer war, befand sich auch in der Wohnung der Großeltern im Obergeschoss.
Im Untergeschoss „residierten“ die Urgroßeltern.
Die Küche und das Schlafzimmer meiner Eltern befanden sich im Dachgeschoss, dazwischen ein Mangel- und Wäschetrockenraum.
Die beiden unteren Geschosse waren zentralbeheizt. Im Dachgeschoss standen lediglich kleine Kohle-Öfen.
Warmes Wasser gab es nur in den Wohnungen der Ur- und Großeltern, aber auch nur, wenn die Koks-Zentralheizung in Betrieb war. Im Dachgeschoss waren ausschließlich im Wäscheraum eine Kaltwasserzapfstelle und ein Ausgussbecken vorhanden, d. h. in der „Küche“ nichts dergleichen.
Die „Weiße Ware“ im Haus war übersichtlich und ist schnell aufgezählt: drei Elektroherde und ein Kühlschrank.
Die Kommunikationstechnik und Unterhaltungs-Elektrik war noch viel überschaubarer: Eine Schreibmaschine, so eine aus dem Stück gefeilte mechanische, die meinem Urgroßvater gehörte sowie ein „modernes“ Röhrenradio meiner Eltern.
Das Grundstück mit fast 2.000 m² Fläche wurde bis auf die Gebäude- und Wegeflächen sowie die Wäschebleiche von meinem damals noch berufstätigen Großvater als Gemüsegarten bewirtschaftet. Dazu kamen jede Menge Obstbäume und Beerensträucher.
Hinter dem Wohnhaus befand sich ein kombinierter Ziegen-Hühnerstall in fast schon massiver Bauweise, daneben ein einfaches, verbrettertes Hühnerhaus. Beide Stallungen waren zu meiner Eintrittszeit in die Familie allerdings schon verwaist.
Geerntete Kartoffeln und Äpfel wurden im Keller eingelagert, Falläpfel akribisch aufgesammelt und zu Mus verarbeitet oder an eine Mosterei gegeben, von der wir dann Apfelsaft erhielten.
Ansonsten pressten meine Mutter und Großmutter jede Menge Himbeersaft, weckten Obst und Gemüse ein, kochten Kompott, Mus, Marmelade und Gelee. Ich habe dies alles als sehr lecker in Erinnerung – bis auf die eingeweckten Erdbeeren, die ich zum einen wegen der Farbe als auch wegen des Geschmacks nie sonderlich gemocht habe. – Übrigens: Erdbeeren mag ich bis heute nur frisch und pur – ohne Gedöns wie Sahne, Zucker oder … Kondensmilch.
In guter Erinnerung habe ich auch noch den Joghurt, den meine Großmutter selbst ansetzte. – Mit dem auch heute noch erhältlichen SIESA, einem Leinsamen-Granulat mit Molkeeiweiß, bestreut, liebte ich ihn besonders.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Fleisch nur selten auf den Teller kam. In erster Linie sonn- und feiertags gab es Braten, Rouladen oder, als Besonderheit, Schwalbennester aus Kalbfleisch. Ansonsten ab und an mal Hackbraten oder die sogenannte „Beamtenstippe“, die wie folgt zubereitet wird:
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Zwiebeln würfeln, zusammen mit gemischtem Hackfleisch in Butter anbraten, mit Mehl überstäuben, mit Wasser ablöschen und zu einer sämigen Masse verrühren, abschmecken mit Salz, Pfeffer und Frugola – einer pflanzlichen, körnigen Würze.
Dazu gibt es Pellkartoffeln und saure Gurken oder (Feld)Salat – natürlich mit Schmandsoße.
Ansonsten kamen eher Vegetarisches auf den Tisch und meine Leibspeisen:
- Pellkartoffeln mit Schmand, Kräuterquark oder Frankfurter Grüner Soße
- Gescheibte Rote-Beete, die meine Großmutter meisterlich einzuwecken verstand, als Salat, dazu Kartoffelbrei mit viel guter Butter, etwas Eigelb und einem Hauch Muskatnuss sowie Spiegeleier
Das Größte waren für mich ab und an die Mitbringsel meiner Großeltern aus dem Reformhaus: Rotbäckchen-Saft, ein Nugat-Brotaufstrich und kleine leckere Schnittchen, gemischt mal Marzipan, mal Früchte-Nuss-Mix.
Mit meinem Großvater verbrachte ich viel Zeit im Garten und so lernte ich spielerisch sehr viel über alles, was mit dem natürlichen Gärtnern zu tun hat.
Stets nahm er mich auch mit auf seine Spaziergänge in Feld und Wald direkt vor unserer Haustür, wo er mir viel über das was kreucht und fleucht, blüht, wächst und gedeiht nahe brachte. Ich danke ihm bis heute von ganzem Herzen für all das mir vermittelte Wissen und den behutsamen, achtungsvollen Umgang mit der Natur. Natürlich auch für die Geschichten, die er mir in seinen sonntäglichen Mittags-Ruhepausen einfach so aus der Phantasie heraus erzählte.
Meiner Mutter bin ich insbesondere dankbar für die Zeit, die sie mir neben ihrer Arbeit an der Nähmaschine widmete. – Die vielen fröhlichen Stunden des Bastelns und Malens.
Habe ich damals etwas vermisst? – Ich kann mich nicht daran erinnern. – Mir fehlte es gefühlt an nichts. Ständig waren Erwachsene da, d. h. ich war nie allein. Mein Lieblingsspielzeug waren zwei hölzerne Leiterwagen – ein kleiner und ein relativ großer, die ich mit Begeisterung und großer Ausdauer durch den Garten zog. Überbleibsel aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der sie zum Holzholen und zur Futterbeschaffung für die Ziegen und Hühner genutzt worden waren.
Im Sommer diente mir eine verzinkte Wanne als „Planschbecken“, die auf die mit Gänseblümchen übersäte Wäschebleiche gestellt wurde.
Einzig mein Wunsch nach einem Kinder-Schlagzeug erfüllte sich nicht so wie erhofft. Ich bekam zwar eines geschenkt, allerdings wurde den Erwachsenen um mich herum sehr rasch bewusst, dass Trommelei mit sehr viel Geräusch verbunden ist. – Die Folge: Das Schlagzeug verschwand sehr schnell wieder von der Bildfläche.
Eine Zeit, in der der Samen für ein Hobby gelegt wurde, das mich für rund 60 Jahre begleiten sollte, mir viel Freude bereitet, Entspannung gebracht, zeitweise auch Trost gespendet hat.
Ein Hobby, die Eisenbahn im Großen und Kleinen, von dem ich mich im April 2021 verabschiedet habe, um Anderem Raum zu geben, mich neuen Aufgaben zu widmen. – Ein Abschied in Dankbarkeit und, für mich beruhigend, ohne Wehmut.
Rückblickend kann ich sagen, eine glückliche frühe Kindheit gehabt zu haben. – Eine Zeit voller Zuwendung mit ganz viel Herz ❤️.
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